Die Anzahl der Zuweisungen von unbegleiteten Minderjährigen aus dem Asylbereich (UMA) durch das Staatssekretariat für Migration (SEM) ist seit dem Jahr 2021 stark angestiegen. Dies stellt den Kantonalen Sozialdienst (KSD), der mit der Unterbringung und Betreuung der UMA beauftragt ist, vor zahlreiche Herausforderungen. Das Konzept des begleiteten Wohnens bietet Chancen.
Zum einen können die regulären UMA Unterkünfte entlastet werden und zum anderen bietet sich die Möglichkeit, die UMA auf ein selbstständiges und eigenverantwortliches Leben vorzubereiten. Profitieren können vor allem selbstständigere bildungsmotivierte Jugendliche, die z.B. ein Brückenangebot Integration an der Kantonalen Schule für Berufsbildung (ksb) besuchen oder eine berufliche Ausbildung absolvieren. Sie erhalten eine lernfreundliche Unterbringung und werden von Fachpersonen der Stiftung Wendepunkt betreut.
Im Februar dieses Jahres hat der Kantonale Sozialdienst zusammen mit der Stiftung Wendepunkt den Medien einen Einblick in die Wohngruppe in Brittnau gewährt: Beitrag SRF vom 19.2.25
Ottavio Di Grassi, Leitung Wohn-Coaching und UMA in der Stiftung Wendepunkt hat uns noch ein paar weitere Fragen zu diesem neuen Angebot beantwortet.
Ottavio, was war der Ausschlaggeber zur Entscheidung, sich an der Ausschreibung für das neue Angebot „Begleitetes Wohnen für unbegleitete Minderjährige aus dem Asylbereich (UMA)“ zu beteiligen?
Als wir von diesem neuen Angebot erfuhren, hatten wir den Eindruck, dass wir dank dem WUMA1) und dem seit über 20-jährigen Unterwegssein im Wohn-Coaching bereits viel Erfahrung mitbringen. Als Stiftung Wendepunkt sind wir immer offen, Neues anzupacken und diese neue Form der Begleitung ist aus unserer Sicht eine sinnvolle Entwicklung. Zudem schlägt mein Herz aufgrund meines eigenen Migrationshintergrundes (Italien) sofort höher, sich hierbei zu investieren.
Wenn du seit dem Start im Herbst 2024 zurückblickst, was stimmt dich und dein Team freudig?
Einerseits, dass wir zum gewünschten Termin startklar waren. Von der Suche nach neuen qualifizierten Mitarbeitenden bis zu geeigneten Wohnungen mussten wir in kürzester Zeit alles neu aufbauen. Zudem ist das neue Team sehr schnell zusammengewachsen. Das ist für mich nicht selbstverständlich und macht mich sehr dankbar.

Der Alltag mit den Jugendlichen funktioniert erfreulich. Mit acht Mitarbeitenden begleiten wir heute 50 Jugendliche in von uns gemieteten Wohnungen in der Region Aarau und Zofingen. Diese jungen Menschen sind vorwiegend aus Afghanistan sowie aus Jemen, Angola, Burundi, Somalia und Ukraine. Die Jugendlichen werden durch je zwei Fachpersonen betreut und mindestens zweimal die Woche besucht.
«Das Angebot begleitetes Wohnen für UMA bietet sichere Orte mit regelmässiger, beziehungsorientierter Begleitung, welche die Jugendlichen aufblühen und erstarken lassen.»
Irene Schweizer, Co-Teamleitung UMA

Gab es Überraschungen oder Herausforderungen in der Umsetzung?
Die Jugendlichen sind dankbar, dass ihnen diese Chance gewährt wird. Sie sind froh, dürfen sie sich in einem persönlicheren Umfeld in Ruhe entwickeln und integrieren. Sie sind motiviert, Deutsch zu lernen und eine Ausbildung zu machen. Sie wollen Fuss in der Schweiz fassen. Aufgrund ihres Weges bis in die Schweiz bringen sie eine gewisse Selbständigkeit bereits mit, die es weiter zu stärken gilt. Die Jugendlichen sind freundlich und bei Abmachungen in der Regel zuverlässig.
Einige der Jugendlichen kennen sich bereits aus der vorherigen Unterbringung, jedoch nicht alle. So lernen sie eine Wohngemeinschaft zu bilden und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. Das setzt gegenseitiges Vertrauen voraus. Natürlich hatten wir auch schon mal bei einer Wohnung zu Beginn Lärmbeschwerden aufgrund zu lauter Musik. Doch das konnten wir umgehend nachbarschaftsfreundlich klären. Beim Einzug stellen sich unsere Mitarbeitende bei den Nachbarinnen und Nachbarn vor und hinterlassen ihre Kontaktdaten. Wenn wir nicht vor Ort sind, sind wir immer erreichbar. An den Wochenenden und in der Nacht steht ein Pikettdienst zur Verfügung.
Ziel ist die Berufsbildung und/oder eine Lehrstelle zu finden. Nebst dem regelmässigen Besuch der Schule braucht es dafür zugleich eine Offenheit auf Betriebsseite. Die beiden Jugendlichen, die im Interview Auskunft geben, haben zwischenzeitlich das Schnuppern in einer Bäckerei sowie das Praktikum bei einer Malerei absolviert.
«Wir freuen uns sehr, dass das Schnuppern in der Bäckerei die Verantwortlichen und das Team so überzeugt hat, dass sie dem Jugendlichen eine Lehrstelle in Aussicht stellen.»
Ottavio Di Grassi, Leitung Wohn-Coaching und UMA

Was sind noch Anliegen für dich und das Team in der Zukunft?
Wir nehmen den Grossteil der Jugendlichen als offen und kommunikativ wahr. Die gemeinschaftlichen Anlässe sind ein Highlight. Hier erlebt man einander in einem anderen Kontext, sei es beim gemeinsamen Essen oder Spielen. Beliebt sind Gesellschaftsspiele wie UNO – da wird viel zusammen gelacht. Zugleich stärkt es die gegenseitige Beziehung und das Vertrauen.
Während den Schulferien organisiert das Team Gruppenaktivitäten, wie beispielsweise gemeinsam draussen einen Parcours oder das 1000er Stägli in Aarburg AG zu absolvieren oder in einer Sporthalle Fussball oder Volleyball zu spielen. Da blühen sie in diesem ungezwungenen Rahmen auf, – besonders schön zu sehen, wenn sie vielleicht zuvor noch etwas zurückhaltend waren.
Hier freuen wir uns immer, wenn wir Unterstützung bekommen, z.B. in dem wir einen Raum oder Sporthalle und Material gratis nutzen dürfen. Oder manchmal suchen wir ganz praktisch Freiwillige, die mit den Jugendlichen lernen und bei den Hausaufgaben unterstützen. Oder wir könnten uns ebenso Götti-Familien vorstellen, die bereit wären, gerade an den Wochenenden, einen Jugendlichen bei Familien-Freizeitaktivitäten zu integrieren. Das hilft wiederum, Deutsch zu praktizieren. Falls Interesse da ist, bitte sich melden.
Ottavio, herzlichen Dank für dieses Interview.
1)Betreutes Wohnheim für unbegleitete minderjährige Asylsuchende, welches die Stiftung Wendepunkt während vier Jahren vom 1. Mai 2015 bis 30. April 2019 im Auftrag des Kantonalen Sozialdienst geführt und 39 jungen Asylsuchenden im Alter von 14 bis 18 Jahren eine erste Heimat im Ankunftsland geboten hat.
Medienbeiträge
Wohngemeinschaften für Flüchtlinge: Hier finden sie Ruhe – SRF
«Hier habe ich Ruhe zum Lernen» – so wohnen junge Flüchtlinge im Aargau – Zofinger Tagblatt
Mehr zum Angebot
Begleitetes Wohnen für unbegleitete Minderjährige aus dem Asylbereich – Kanton Aargau
Zur Person
Ottavio Di Grassi, Leitung UMA (59 Jahre), gestartet im Februar 2001 zum Aufbau der ersten betreuten Wohngemeinschaften, folgte im Jahr 2012 der Wechsel und Gründung des Wohn-Coaching Angebots unter seiner Leitung. Heute zählt das Team insgesamt 15 Mitarbeitende (ohne UMA). Seit Herbst 2024 ist er zusätzlich verantwortlich für das UMA mit einem Team von acht Mitarbeitenden. Privat verbringt er gerne viel Zeit mit seinen Grosskindern, als Volleyballschiedsrichter oder beim Curlen und Tanzen.

Simone Frei
Leitung Unternehmenskommunikation | Kundenservice