Zukunft mit Zuversicht

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Pandemie, Krieg, Klimawandel, all das lasse die Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Zukunft negativer sehen. Bei Jugendlichen über 14 Jahren sei der Stresslevel gestiegen, wie auch unter anderem die Selbstverletzung, Internetsucht oder der Verlust des Selbstwertgefühls. Uns interessiert, ist das effektiv Realität?

Fragen über Fragen… ein Paar davon haben wir Selina Frühauf gestellt, die sich im Alltag mit Jugendlichen auseinandersetzt. Sie gibt uns spannende Einblicke in die persönliche Wahrnehmung und Sichtweise zu den jungen Erwachsenen sowie zur aktuellen Lage und deren Auswirkungen.

Ein Megatrend unserer Zeit heisst Individualismus und Selbstverwirklichung. Auf den sozialen Medien liest man Zitate wie «Du lebst nur einmal, lebe ein gutes Leben» oder «Folge deinem Herzen». Gleichzeitig heisst es, Jugendliche und junge Erwachsene fühlen sich nicht entscheidungs- und handlungsfähig. Worin könnte die Diskrepanz aus Ihrer Sicht liegen?
Die erwähnten Zitate klingen auf den ersten Blick einfach und verheissungsvoll. Bei genauerem Hinschauen erkennt man aber die schiere Überforderung, die solche Lebensmottos auslösen können. Nur schon die Frage, was denn das Herz überhaupt möchte oder spürt, wohin es uns denn eigentlich führen möchte, kann in Anbetracht der vielen Möglichkeiten, die wir heute haben, richtig lähmend wirken. Denn seinem Herzen zu folgen – das ist alles andere als simpel. Das erfordert klare Entscheidungen. Und aus einer Vielzahl von Optionen die «richtige Entscheidung» zu treffen und auszuhalten, dass es sein kann, dass eine andere Entscheidung vielleicht besser gewesen wäre – das erfordert eine gewisse Reife und Mut und dass man sich selber gut einschätzen kann.

Wenn man einem Kind sagt «die ganze Welt steht dir offen», dann ist das schlicht falsch. Jeder Mensch hat seine Stärken und Schwächen, die es kennenzulernen gilt. Und es gibt auch Grenzen von aussen. Sich selbst gut zu kennen, ist eine wichtige Voraussetzung um Entscheidungen zu fällen und Verantwortung zu übernehmen. Sonst bleiben die Sätze eine leere Verheissung und erzeugen Druck. Das andere ist die Kunst der Erziehung eines Kindes derart, dass es Wurzeln und Flügel bekommt. Also dass es sich sicher und gehalten fühlt und aus diesem sicheren Gefühl die Welt um sich entdecken kann. Dann macht es schon früh Selbstwirksamkeitserfahrungen und macht sich vertraut mit seinen eigenen und den Grenzen anderer.

Mediale Überreizungen, Konsum- und Unterhaltungsverhalten, Vereinsamung, Leistungsdruck, Arbeitslosigkeit, Erschöpfung … Mit welchen Nöten und Auswirkungen kämpfen viele aus Ihrer Sicht? Was hat sich in den letzten Jahren verändert? Und was hilft, diesen Bedürfnissen zu begegnen?
Durch die Dauerpräsenz auf den sozialen Medien ist sicher in den letzten Jahren eine zusätzliche Komponente dazu gekommen, die neue Belastungen erzeugen kann. Es ist aber nicht alles nur schlechter geworden. Viele Jugendliche setzen sich mit sich und der Welt auseinander und suchen Hilfe, wenn es ihnen schlecht geht. Die Adoleszenz ist ja schon für sich eine Zeit der Unsicherheit und des Suchens und Findens. Die Unsicherheiten können durch Haltlosigkeit verstärkt werden. Ein stabiles Beziehungsnetz, sei das in der Familie, in der Peer oder in einer Gemeinschaft, Sport, Verein etc., helfen Orientierung und Halt zu geben und ermöglichen den wichtigen sozialen Austausch. 

«Jugendliche brauchen keine Erziehung, sondern Beziehung.»

Zum Schluss, Ihr persönliches Anliegen für die Jugend und eine Zukunft mit Zuversicht?
Jeder Mensch braucht verlässliche Beziehungen, um gesund wachsen zu können. Jugendliche brauchen aus meiner Sicht keine Erziehung, sondern Beziehung. Ich wünsche mir, dass Jugendliche gute Vorbilder finden und Personen in ihrem nahen Umfeld, die gewillt sind, auch mühsame Phasen gemeinsam durchzustehen. Die also verlässliche Beziehungspartner sind und den Jugendlichen liebevoll, klar und verbindlich zur Seite stehen. 

Selina Frühauf, herzlichen Dank für das Interview und diese Einblicke.

Zur Person

Dr. med. Selina Frühauf (40), Stationsärztin Klinik SGM und angehende Kinder- und Jugendpsychiaterin und -psychotherapeutin. Hobbies: Gartenarbeit und Lesen.


Simone Frei
Leitung Unternehmenskommunikation | Kundenservice