Vom Fliegen und Träumen

Seit mehr als einem Jahr wohnt er nun in der Wohngemeinschaft (WG) Castello und besucht seit diesem Frühling die Tagesstätte in Frick. Beides gibt ihm Stabilität und Hoffnung, eines Tages in eine eigene Wohnung zurückzukehren.

Treffpunkt ist die Tagesstätte in Frick. Es ist zehn Uhr morgens. Alle Teilnehmenden sind bereits vertieft in ihren kreativen Arbeiten. Es herrscht eine friedvolle Stille im Raum. Marcio werkelt an seinem Flugzeug, sein neuestes Projekt. Rückblickend sagt er, war es kein einfacher Weg. Es liegt auch noch ein Stück Arbeit vor ihm, bis er seine Ziele und Wünsche erreicht.

Früher war Marcio in einer Festanstellung als Logistik-Betriebsmitarbeiter bei einer Firma in Möhlin beschäftigt. Durch den Bandscheibenvorfall konnte er nicht mehr schwere Ware tragen. Von einem Tag auf den andern wurde er arbeitsunfähig. In etwa dem gleichen Zeitraum liess sich seine Frau von ihm scheiden, seine Töchter waren dazumal im Teenageralter.

Das war eine sehr harte Zeitspanne für ihn. So viel Schwieriges passierte in kürzester Zeit. Besonders die Schmerzen im Rücken plagten ihn fürchterlich und ohne Familie fühlte er sich einsam. Um abzuschalten und zu vergessen, griff er immer mehr zu Suchtmitteln. Er vernachlässigte Alltägliches, die Post blieb ungeöffnet. Er vernachlässigte seine sozialen Kontakte, ausser den Besorgungen ging er nicht mehr aus dem Haus. Es verschlimmerte sich so weit, bis er seine Wohnung gänzlich aufgeben musste.

In dieser Zwickmühle, sorgenvoll, ohne Dach über dem Kopf dazustehen, war seine Beiständin eine wichtige und wertvolle Bezugs- und Begleitperson und ausschlaggebend für den weiteren Werdegang. Sie unterstützte ihn bei der Suche nach einem Platz in der Klinik sowie eine Anschlusslösung im Betreuten Wohnen zu finden.

Die schönen Wohnungen und die zentrale Lage der Wohngemeinschaft Castello gefielen ihm auf Anhieb. Heute lebt er in einer Zweier WG. Kürzlich hat er einen neuen Mitbewohner bekommen. Eher ein stiller Typ, der noch nicht so gut deutsch spricht. Somit läuft das gegenseitige Eingewöhnen noch. Gerne nimmt er an den gemeinsamen Kaffee-Treffs teil und die Abende, an denen die WG-Mitarbeitenden kochen, geniesst er besonders.

«Ich lerne, dass ich – so wie ich bin – angenommen bin und fühle mich wertgeschätzt.»

Marcio

Im Juli 2021, erinnert sich Patrick Hächler, holte er Marcio nach seinem Klinikaufenthalt in Gontenschwil ab. Gemeinsam fuhren sie in das neue Zuhause in Frick.

«So möchten wir mithelfen, Leben zu erhalten und Leben in die Gesellschaft zurückzuführen. Marcio hatte kaum Strukturen und kein Zuhause mehr. Es bleibt immer zuerst ein Prozess, ein Geben, ein Dranbleiben, bis man erste Resultate sieht. Wir wollen ihn dabei unterstützen, eine konstante Stabilität zu erreichen. Ein nächstes Etappenziel in Aussicht ist, im Frühling 2023 wieder eine eigene Wohnung zu beziehen und durchs Wohn-Coaching begleitet zu werden.»

Patrick Hächler, Stv. Leitung WG Castello in Frick

Marcio fing im letzten Sommer auch ein Beschäftigungsprogramm im zweiten Arbeitsmarkt in Windisch an. Er konfektionierte Schrauben und sortierte Schraubenzieher. Nach zirka acht Monaten wurde der Weg aufgrund seiner Rückenschmerzen zur Belastung.

Die Strecke in die Tagesstätte ist mit seinem Elektro-Scooter jetzt gut praktikabel und macht Spass. Da fällt pünktlich sein sogar einfacher in der aktuellen Tagesstruktur. Marcio ist auf gutem Weg.

«Ich fühle mich wohl. Die Betreuung ist sehr gut. Vor allem schätze ich, dass es kein Zwang ist, jeder darf in seinem Tempo vorwärtsgehen. Es wird individuell auf die Bedürfnisse eingegangen, man darf sich einbringen und kann selbst mitentscheiden.»

Marcio

Die Atmosphäre in der Tagesstätte gefällt ihm gut. Am liebsten bastelt er mit ganz vielen Materialien wie Holz, Ton, Metall. Sein Flugzeug, an dem er gerade schöpferisch mit vielen kleinen Details arbeitet, steht für Freiheit – und das Steuerrad wieder selbst in die Hand nehmen zu können. Gestartet hatte er mit einem Vulkan, der Lava ausspuckte, damit Platz geschaffen und neuen Raum eingenommen werden konnte. Sein zweites Projekt war ein Bild. Er hatte einen Kopf mit einer Spritze im Mund gemalt, zur Erinnerung und Warnung in Raten. So begleitet das kreative Gestalten ihn zudem in seinem persönlichen Entwicklungsprozess. Das hilft ihm in der Verarbeitung der eigenen Geschichte. Kreatives Handwerk war schon früher sein Hobby, als er Lampen in seiner Freizeit kreierte.

«Marcio ist sehr kreativ begabt. Man spürt, dass er gerne kommt. Die Tagesstätte gibt ihm Stabilität. Manchmal hat er Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Es ist wie bei seinem gebastelten Vulkan schön zu erleben, wie aus Lava etwas Neues und Schönes entsteht. Das motiviert alle hier. Ich wünsche mir, dass er diesen Weg weitergeht und immer mehr an Lebensqualität gewinnt.»

Claudia Fischer, Leiterin Tagesstätte in Frick

Die Schmerzen sind noch da, die Medikamente helfen. Einschränkungen werden bleiben. Und seine Wünsche für die Zukunft? Davon gibt es ganz viele…

Stabilität. Suchtfrei. Eigenständig Wohnen. Soziale Kontakte und Freundschaften wieder aufbauen. Besonders am Herzen liegt ihm die Familie – sei es seine Mutter, seine Töchter oder sein Sohn endlich sehen zu dürfen.

Jobmässig würde er sehr gerne in der Pflege arbeiten, wenn es der verbesserte Gesundheitszustand seines Rückens zulässt. Die Arbeitskleidung hatte er dazumal während seines Praktikums dank eines Umschulungskurses mit Stolz getragen. Sich um Menschen kümmern, gibt ihm Sinn und Freude. Daher hofft er nun auf einen positiven Bescheid seines IV-Wiederantrages. Das würde sehr viel erleichtern.

Auf seiner Liste steht noch ein Punkt, eines Tages in sein Heimatland Brasilien zurückzukehren.

Wir wünschen Marcio von Herzen viel Gelassenheit und Stärke auf seinem weiteren Weg, auch bei dem eventuell einen oder andern Rückschritt ein Dranbleiben und Vorwärtsgehen für das erfolgreiche Gelingen seiner Zukunftspläne.

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Simone Frei
Leitung Unternehmenskommunikation | Kundenservice