Das Interview gibt spannende Einblicke hinter die Kulissen – in einen Beruf, bei dem der Mensch und seine individuellen Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen und gleichzeitig es hilft, die Artikel des ZGBs formsicher zu kennen.
Markus Geiter, was war vor 14 Jahren deine Motivation, Beistand zu werden?
Eigentlich war es mehr eine Lebenssituation, in der ich drin war, welche mich zu einer Neuorientierung veranlasste. Mit meinem Hintergrund als Theologe suchte ich etwas im sozialen Bereich und fand diese Stelle als Amtsvormund. So nannte man damals den Berufsbeistand. Es stellte sich rasch heraus, dass mir diese vielfältige und herausfordernde Arbeit sehr entspricht.
Seit 2013 ist das neue Erwachsenenschutzrecht in der Schweiz in Kraft getreten, dass eine massgeschneiderte Beistandschaft ermöglicht. Worin siehst du den grössten Mehrwert seither?
Der Mehrwert liegt vor allem darin, dass auf die Situation und Bedürfnisse der betroffenen Personen gezielter eingegangen werden kann. Nur dort, wo der Schwächezustand und damit der Schutzbedarf besteht, werden die Aufgaben des Beistandes festgelegt. Die Selbstbestimmung der betroffenen Personen ist heute mehr im Fokus. Einen Mehrwert im neuen Kindes- und Erwachsenenschutzrecht sehe ich zudem in der Professionalisierung der Behörde. Es sind nicht mehr mehrheitlich Laien, die eine Massnahme anordnen, sondern Fachpersonen von der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde.
Ein vielfach diskutiertes Thema: Den Schutzauftrag gegenüber Klientinnen und Klienten wahrzunehmen, ohne dass sich diese in ihrer Selbstbestimmung zu stark eingeschränkt fühlen. Oft hört man dadurch in Gesprächen, dass viele Menschen eher skeptisch gegenüber einer Beistandschaft sind. Was sind meist die Missverständnisse? Und was hilft aus deiner Erfahrung, Vertrauen aufzubauen?
Ein sehr zentrales Anliegen des neuen Gesetzes ist gerade die Selbstbestimmung, was sich im Vorsorgeauftrag und in der neu gesetzlich verankerten Patientenverfügung ausdrückt. Die Massschneiderung zeigt, dass die Selbstbestimmung wichtig ist und nur dort eine Massnahme verfügt wird, wo der tatsächliche Schutzbedarf besteht. Ein oft gehörtes Missverständnis ist, dass über den Kopf einer Person entschieden werde oder dass die Person nichts zu sagen habe. Das ist nicht der Fall. Die betroffene Person wird immer angehört und kann sich zur geplanten Massnahme äussern. Bei vielen Beistandschaften ist die Handlungsfähigkeit der Person nicht eingeschränkt, das heisst, sie kann selbst entscheiden und frei handeln. Ich erlebe viel Erleichterung bei betroffenen Personen, die die Unterstützung sehr schätzen. Meist sind die Skeptiker Personen, die mit der Sachlage nicht vertraut sind und nur einseitige Informationen haben.
Übrigens, das Ziel der Beistandschaft ist, wenn immer möglich, die Beistandschaft wieder überflüssig zu machen, also die Menschen wieder ganz ihrer Selbstbestimmung zu übergeben – das ist natürlich nicht überall möglich, wie beispielsweise bei dementen oder stark beeinträchtigen Menschen.
Vertrauen kann aufgebaut werden, einerseits durch eine solide, zugewandte und professionelle Arbeit der Beistandsperson und andererseits durch eine gute Kommunikation.
Wie hat sich die Beistandschaft in den letzten Jahren verändert? Die aktuellen Zeiten seit Beginn der Pandemie lösen bei vielen Menschen Unsicherheiten und Ängste aus. Bemerkst du einen Wandel bei den Bedürfnissen in der Begleitung?
Grundsätzlich gibt es nicht viel Neues und Andersartiges. Die Mandate sind in den letzten Jahren mehrheitlich komplexer geworden und es gilt, an vielen «Baustellen» die betroffene Person zu unterstützen (Wohnen, Arbeit, Finanzen, Gesundheit). Vielleicht haben die Mandate für psychisch beeinträchtige Menschen, gerade bei jungen Erwachsenen, etwas zugenommen. Ansonsten hat die Pandemie nach meiner Beobachtung im Bereich Beistandschaften bis jetzt nicht sehr grosse Auswirkungen.
Du bist seit kurzem im Vorstand der Vereinigung Aargauischer Berufsbeiständinnen und -beistände (VABB). Mit welchen Fragen wird der Beruf des Beistandes in der Zukunft noch stärker gefordert sein?
Der Fachkräftemangel macht sich auch bei den Berufsbeistandschaften stark bemerkbar. Die Dienste tun sich immer wieder schwer mit der Rekrutierung und Findung von geeigneten Beistandspersonen. Die Komplexität der Mandate ist eine Herausforderung, gerade für Neu- und Quereinsteiger, die aufgrund des Fachkräftemangels zunehmen. Die ganze Problematik des Ressourcenmangels, der sich natürlich durch die Zunahme der Komplexität verschärft hat, besteht schon länger und wurde von der KOKES, der Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz, in ihren im letzten Jahr herausgegebenen Empfehlungen zur Organisation von Berufsbeistandschaften aufgegriffen. Es ist sehr wichtig, dass die Beistände genügend Zeit haben, um sich den betroffenen Personen zu widmen. Das ist aber nicht möglich, wenn man 80 und mehr Personen zu betreuen hat. Ebenso ist die Spezialisierung ein Thema. Wenn früher die Beistände sowohl für den Kindes- und Erwachsenenschutz tätig waren, so ist es sinnvoll, dies aufzuteilen. Was ebenso auf die Berufsbeistände zukommt und die meisten schon mittendrin sind, ist die Digitalisierung.
Unser Fazit: Die Aufgaben der Beistandschaft hören sich vielseitig und sehr anspruchsvoll an. Braucht es da eine charakter- und persönlichkeitsstarke Person mit einer grossen Portion an Lebenserfahrung zu sein?
Das sind sicher wichtige Eigenschaften. Es ist zuerst das Fachwissen, das sehr entscheidend ist. Auf der anderen Seite ist es hilfreich, wenn eine gesunde Lebenserfahrung vorhanden ist. So dass man sich nicht so schnell angesichts der vielen Schwierigkeiten und Problemstellungen, die einem begegnen, aus der Ruhe bringen lässt. Ich sage immer wieder, dass ein Beistand eigentlich ein permanenter Problemlöser ist – Menschen ohne Probleme benötigen auch keinen Beistand (smile).
«Eine solide, zugewandte und professionelle Arbeit
baut Vertrauen auf.»
Du bist Stiftungsrat bei uns in der Stiftung Wendepunkt. Wie siehst du die Rolle der Institutionen und was ist wichtig in der Zusammenarbeit?
Die Stiftung Wendepunkt erfüllt einen sehr wichtigen Auftrag für benachteiligte und schutzbedürftige Menschen. Für verbeiständete Menschen hat die Stiftung zentrale Angebote wie Wohnen und Arbeiten. Für die Zusammenarbeit zwischen den Beiständen und den jeweiligen Verantwortungsträgern, bei denen die betreuten Menschen arbeiten und leben, ist die Kommunikation und der Austausch sehr wichtig. Ich selbst schätze es immer wieder, wenn ich von Bezugspersonen Informationen über meine Klienten und Klientinnen erhalte und mich regelmässig austauschen kann. Es ist darum wertvoll, dass von Seiten der Institutionen aktiv auf die Beistandspersonen zugegangen wird.
Was ist für dich persönlich ein Wendepunkt im Unterwegssein mit Klientinnen und Klienten?
Es ist immer sehr schön zu sehen, wenn die Unterstützung und die Bemühungen, die man aufwendet, ankommen und etwas bewirken. Es freut mich immer wieder, wenn mir die Klientinnen und Klienten danken und mitteilen, was ihnen die Beistandschaft gebracht hat. Wenn ein Mandat aufgehoben werden kann, weil die Gründe für die Errichtung nicht mehr da sind, ist das ein Wendepunkt. Wendepunkte sind zudem, wenn jemand aus schwierigen Lebensumständen herauskommt und wieder ein würdiges Leben führen kann. Ich denke hier an einen jungen Mann, der über viele Jahre drogensüchtig war und teilweise auf der Strasse lebte und nach vielen vergeblichen Versuchen und Therapien nun aufgrund einer für ihn zugeschnittenen Behandlung wieder sehr stabil ist und in einem betreuten Wohnen lebt.
Wie schöpfst du Kraft für deinen Alltag?
Ich schöpfe Kraft aus meinem Glauben und aus Begegnungen mit lieben Menschen. Erholen kann ich mich bei schönen Unternehmungen zusammen mit meiner Frau. Lesen, musizieren und arbeiten in unserem Haus und Umschwung ist ebenfalls ein wichtiger Ausgleich für mich.
Markus Geiter, herzlichen Dank für dieses Interview.
Zur Person
Markus Geiter (59), verheiratet, Vater von zwei erwachsenen Söhnen, wohnhaft im unteren Fricktal, Berufsbeistand, Bereichsleiter Berufsbeistandschaft Bezirk Rheinfelden und im Vorstand Vereinigung Aargauischer Berufsbeiständinnen und -beistände (VABB) sowie seit 5 Jahren im Stiftungsrat der Stiftung Wendepunkt. Privat spielt er in seiner Freizeit, nebst der Arbeit im Umschwung seines Eigenheims, in einer Brassband, die er auch präsidiert.
In Kürze: die vier Arten der Beistandschaft
Seit 2013 ist das neue Erwachsenenschutzrecht in der Schweiz in Kraft getreten, welches eine massgeschneiderte Beistandschaft für volljährige Personen ermöglicht. Die Bedürfnisse und Lebensumstände einer Person werden umfassend abgeklärt. Die Erwachsenenschutzbehörde kann aus vier Arten der Beistandschaft auswählen. Es ist möglich, mehrere miteinander zu kombinieren.
Begleitbeistandschaft: Die Person wird in spezifischen Angelegenheiten, worin sie Hilfe benötigt, begleitet. Das kann beispielsweise das Ausfüllen eines Formulars sein. Verträge werden von der Person selbst unterzeichnet. Ihre Handlungsfähigkeit ist nicht eingeschränkt.
Mitwirkungsbeistandschaft: Wenn eine Person für sie nicht gute Entscheidungen treffen kann, können bestimmte Rechtsgeschäfte nur mit Zustimmung eines Beistandes gültig sein. Die Handlungsfähigkeit der Person ist entsprechend eingeschränkt.
Vertretungsbeistandschaft: Kann eine Person gewisse Angelegenheiten nicht selbst erledigen, wird sie von einem Beistand vertreten, beispielsweise in der Verwaltung der Finanzen. Die Handlungsfähigkeit der Person kann eingeschränkt sein, muss aber nicht.
Umfassende Beistandschaft: In diesem Fall vertritt der Beistand die Person in allen Belangen, er ist gesetzlicher Vertreter. Die Handlungsfähigkeit entfällt von Gesetzes wegen. Die Person hat keine politischen Rechte, darf also weder abstimmen noch wählen.
Simone Frei
Leitung Unternehmenskommunikation | Kundenservice