Herr Cachelin, das Ende der digitalen Transformation ist der Beginn der eigentlichen Transformation», steht auf Ihrer Website. Was meinen Sie damit?
In den letzten zwei Jahren konnten wir allgemein über die digitale Transformation sprechen. Diese Zeit ist aus zwei Gründen vorbei. Zum einen müssen wir konkreter definieren, über welchen Aspekt wir sprechen wollen: Sprechen wir über die Effizienzsteigerungen der Unternehmen? Oder über die zunehmenden Datenströme? Oder darüber, dass Menschen, Institutionen und Gesellschaft fortan in einem pausenlosen Wandel leben werden? Zum anderen reicht es nicht, nur über die Digitalisierung zu sprechen. Es ist jetzt Zeit zu handeln und Updates zu wagen, weil sowohl die Gesellschaft als auch viele Unternehmen mit veralteten Betriebssystemen unterwegs sind.
Sie weisen auf Chancen und Gefahren der Digitalisierung hin. Können Sie diese kurz erläutern
Die Chancen liegen primär im einfachen und intensiven Leben: Das Handy ist auch Zugticket, Schlüssel und in Zukunft Pass und Kreditkarte. Digitalisierung heisst zudem, dass ich so intensiv wie nie leben kann, weil ich Menschen, Orte und Gedanken entdecke, die mir früher verborgen geblieben sind. Gefahren finden sich – zumindest vorübergehend – im steigenden Energie- und Ressourcenbedarf, in den verstärkten Differenzen zwischen gut und schlecht vernetzten Menschen, Orten und Unternehmen. Programmierer gewinnen Macht und Wohlstand, Programmierte dagegen werden präziser und unauffälliger als früher kontrolliert und manipuliert.
Effizienz und Wendigkeit, Veränderung und Wandel, Try and Error prägen Arbeitswelt, Gesellschaft und Individuum. Welche Schwerpunkte setzen Sie bei der Integration von Menschen in den ersten Arbeitsmarkt?
Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten, weil die Unterschiede zwischen erstem und zweitem Arbeitsmarkt in der Tendenz zunehmen werden. Arbeit, bei der wenig Kreativität und Initiative verlangt ist, wird an Maschinen delegiert werden, sodass Unternehmen dazu neigen werden, diese Stellen zu streichen. Wichtig scheint mir eine Ausrichtung auf die Arbeitsfelder, in denen künftig Arbeit entstehen wird. Es geht um die Fürsorge für einsame junge und alte Menschen, um die Pflege, um die Reinigung oder auch um die Alltagserleichterung für Menschen, die keine Zeit mehr haben. Dies führt, wie Christoph Bartmann (Mitarbeiter des Goethe-Instituts) richtig feststellt, auch zur Entstehung einer neuen Dienerschaft. Vermutlich geht es darum, durch Arbeit Sinn, aber auch Partizipation an der Gesellschaft zu ermöglichen.
«Neue Tätigkeiten in der Alltagserleichterung könnten eine neue Epoche der Dienerschaft hervorbringen.»
Christoph Barmann, Mitarbeiter Goethe-Institut
Welche Kompetenzen raten Sie Eltern und Schule, bei Kindern und Jugendlichen im Zeitalter der digitalen Transformation zu fördern?
Es wird noch mehr darum gehen zu erkennen, wer man ist, was einem Spass macht, wo man seine Kreativität besonders ausleben kann. Selbstkompetenz ist der Schlüssel für die Arbeitswelt der Zukunft.
Hand aufs Herz, Herr Cachelin: Gibt es Momente, wo auch Sie offline sind?
Wenige, aber unter der Dusche oder beim Spaziergang bin ich auch mal offline.
Herr Cachelin, herzlichen Dank für dieses Interview.
Zur Person
Dr. Joël Luc Cachelin, geb. 1981. Studium, Promotion und Weiterbildung führten ihn an die Universitäten St. Gallen und Bern sowie an die HWZ Zürich. Seit 2009 Geschäftsführer der Wissensfabrik (Think Tank für Personal-, Wissens-, Daten- und Bildungsmanagement). Er inspiriert, hinterfragt, berät und begleitet in der digitalen Transformation, hat mehrere Sachbücher zu dieser Thematik veröffentlicht und hält regelmässig Referate. Das Digital Shapers Ranking 2017 zählt ihn zu den zehn führenden digitalen Vordenkern der Schweiz.
David Fiechter
Assistenz der Geschäftsleitung