Holzgeruch hängt im Raum. Maschinen lärmen. Staub wirbelt auf. Männer mit Mundschutz schleifen an Fensterläden. Die alte Farbe weicht. Das blosse Holz wird sichtbar. «Nackt» und unbehandelt stehen die Läden da. Bei einigen wird Beschädigtes gespachtelt und Defektes ersetzt, bevor sie in einem speziell dafür eingerichteten Raum grundiert und mehrmals von Hand mit neuer Farbe gestrichen werden.
Der Handwerker
Für die fachgerechte Renovation der Fensterläden ist hauptsächlich Andreas Fetzer, Bereichsleiter Montage Renovation, zuständig. Zusammen mit Gruppenleiter Peter Bucher schaut er, dass die Arbeit möglichst effizient auf die gut vierzehn Männer – Frauen arbeiten selten hier – verteilt wird.
Seit sieben Jahren bietet die Stiftung Wendepunkt diese Dienstleistung an. In dieser Zeit hat das Team rund 3’500 Fensterläden von 172 Kunden wieder auf Vordermann gebracht. Von Anfang an mit dabei: Andreas Fetzer. Als Bereichsleiter managt er die ganze Auftragsabwicklung von der Beratung bis zur Abrechnung und überwacht den Arbeitsprozess, damit der Kunde mit dem Resultat zufrieden ist.
«Fachliches und handwerkliches Know-how mit sozialem Engagement zu verbinden ist für mich in der Stiftung Wendepunkt Wirklichkeit geworden.»
Andreas Fetzer
Der Berufene
Die Leidenschaft, fachliches und handwerkliches Know-how mit Sozialem – Menschen begleiten und unterstützen – zu verbinden, ist vor 35 Jahren angefacht worden. Damals fuhr Andreas Fetzer zum ersten Mal mit seinem Auto nach Rumänien. Den Kofferraum voller Lebensmittel und Literatur. Nach dem Sturz des Ceaușescu-Regimes 1989 öffnen sich die Grenzen. Der Kontakt zur Bevölkerung intensiviert sich. Die Idee eines Hilfe-zur-Selbsthilfe-Projekts entsteht: Rumänische Spezialitäten von Produzenten kaufen, in der Schweiz teurer verkaufen und den Gewinn wieder ins Projekt investieren. Aus Bescheidenem wird Beachtliches. Andreas Fetzer ist bis heute dabei, organisiert jährlich drei Warentransporte und fährt zwei davon selber. Während eines längeren Arbeitseinsatzes in Rumänien wird dem gelernten Zimmermann und Projektleiter einer Holzbaufirma bewusst, dass er auch beruflich gerne Menschen unterstützen würde.
Zurück in der Schweiz lässt ihn dieser Gedanke nicht mehr los. Pragmatisch wie er ist, absolviert er Schnuppereinsätze in verschiedenen sozialen Institutionen, stösst dabei auf die Stiftung Wendepunkt und bewirbt sich spontan. 2006 dann die berufliche Wende: Andreas Fetzer wird Bereichsleiter der Stiftung Wendepunkt am Standort Wettingen, zuerst im Recycling, ab März 2011 in der Montage Renovation. Bis heute bereut er den Wechsel ins Sozialunternehmen nicht. «Arbeiten nach Qualitätsstandards, dabei Menschen anleiten und fördern, damit sie wieder Fuss in der Arbeitswelt fassen, gibt mir Zufriedenheit», meint er und wendet sich einem Klienten zu, der Fensterläden den letzten Anstrich gibt.
Vom Goldsucher zum Reinigungsmitarbeiter
Er heisst Khaled, ist Eritreer, 23-jährig. 2014 ist er in die Schweiz und über das Arbeitsintegrationsprogramm für Spätimmigrierte1 zur Stiftung Wendepunkt gekommen. Sein Bildungsrucksack ist bescheiden: Fünf Jahre Schule, gefolgt von Arbeitseinsätzen als Schafhirte in den eritreischen Bergen und als Goldsucher. Hier in der Fensterladenrenovation kommt ihm sein handwerkliches Geschick zugute. Bereits nach kurzer Zeit werden ihm anspruchsvollere Arbeiten übergeben wie das Grundieren und den Farbanstrich. Mit einem gewissen Stolz erzählt er, was er alles gelernt hat: Schleifen, Malen, Läden beim Kunden abholen, die renovierten wieder zurückbringen und aufhängen. Dabei sich mit dem Besitzer über die neu gewordenen Fensterläden freuen, im Wissen darum, dass er selber Hand angelegt hat.
«Noch besser Deutsch können, einen BMW fahren, vielleicht einmal heiraten und eine Familie gründen – davon träume ich.»
Khaled
Erst seit drei Monaten ist Khaled in einem Programm der Stiftung Wendepunkt und kann dieses nun sogar vorzeitig verlassen. Dank der Unterstützung des Job Coachs ist er zu einer temporären Anstellung als Mitarbeiter in der Reinigung Zugbereitstellung bei der SBB gekommen. Er freut sich darauf und will sein Bestes geben – wie in der Fensterladenrenovation. Auf die Frage, welche Träume er mit auf die neue Etappe nimmt, antwortet Khaled: «Noch besser Deutsch verstehen und sprechen, Autofahren lernen, die Prüfung bestehen und mir ein Auto, einen BMW, kaufen», lächelt er und fügt etwas nachdenklich an, «und vielleicht einmal heiraten und eine Familie gründen.»
Mehr zum Angebot
Fensterladenrenovation | Stiftung Wendepunkt
1 Das Arbeitsintegrationsprogramm für Spätimmigrierte im Alter zwischen 18 und 25 Jahren ist ein Angebot für Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Ausländerinnen und Ausländer, welches vom Amt für Migration und Integration (MIKA) finanziell getragen wird.
Das Programm umfasst Folgendes:
– Arbeitstraining mit integrierten Bildungstagen (Deutsch, Grundkompetenzen) bei einem Anbieter arbeitsmarktlicher Massnahmen und an einem externen Einsatzplatz im primären Arbeitsmarkt, Dauer max. 6 Monate
– Fortsetzung externer Einsatzplatz im primären Arbeitsmarkt mit Coaching und Bildungstagen (Dauer max. weitere 6 Monate)
– Ziel Festanstellung oder Praktikum zu orts- und branchenüblichem Lohn zur Überbrückung bis zur möglichen Festanstellung oder Lehrstellenantritt
Regine Frey-Eichenberger
Autorin