«I fiire mini Lehr!»

Jeden Morgen klingelt mein Wecker pünktlich um 6.25 Uhr, was für mich immer zu früh ist. Nach einer gefühlten Ewigkeit verlasse ich mein warmes, kuscheliges Bett, tappe ins Bad, begebe mich anschliessend nach unten und frühstücke, weil ich morgens immer nahezu verhungere. Danach schwinge ich mich auf mein Velo und radle los.

Durch die kurze Distanz zwischen meinem Wohn- und Arbeitsort kann ich jeden Tag mit dem Velo zur Arbeit fahren. Sagen wir fast jeden Tag – bei Schnee und Hagel bevorzuge ich die öffentlichen Verkehrsmittel. 

Die Sache mit den Vorurteilen

Als eine meiner ersten Tätigkeiten im Geschäft schalte ich die Kaffeemaschine im Pausenraum ein. Dabei fallen mir so einige Klischees zu meinem Beruf ein: fortwährend Kaffeemaschinen reinigen, stundenlange Privatgespräche im Büro, Internetsurfen und Zalando Bestellungen vornehmen. Auch meine Freunde reiten gern auf diesen Vorurteilen herum, was, tbh1, langsam echt langweilig wird. Darum räume hier gleich mal damit auf! Die Reinigung der Kaffeemaschine ist fundamental, denn mit Kaffee funktioniert jeder gleich viel besser. Und wie ich gehört habe, ist dieses Gebräu auch in anderen Berufen essentiell. Wie auch Privatgespräche. Für sowas sind doch unsere arbeitsrechtlich vorgeschriebenen Pausen da, oder etwa nicht? Ausserdem würde ich nicht sagen, dass dauerndes Telefonieren mit Kunden, E-Mail-Korrespondenz, Rechnungen verbuchen und Protokolle schreiben «nichts tun» ist. Um Ihre letzten Zweifel zu beseitigen: Onlineshops wie Zalando sind nicht so mein Ding, Sie wissen schon, wegen der Nachhaltigkeit und so.

Zurück auf meinem Bürostuhl und mit einem sehr zufriedenen Kunden am Telefon, merke ich, wie toll die Lehre als Kauffrau EFZ ist, oder wie wir Jungen sagen würden «i fiir d KV-Lehr»2.

Warum die Lehre «amazing» ist

Am späteren Nachmittag, nachdem ich eine Kundenanfrage bearbeitet habe, spähe ich zum Fenster hinaus. Dabei erblicke ich einen etwas älteren Schüler, der gerade nach Hause geht. Wenn ich weiter zur Schule gegangen wäre, hätte ich jetzt vielleicht auch schon Feierabend. Warum habe ich mich dennoch für eine Lehre entschieden? Ich wollte mehr Verantwortung übernehmen und mein eigenes Geld verdienen. Die Vorstellung, weiterhin zur Schule zu gehen und mehrheitlich von meinen Eltern finanziert zu werden, war keine Option. Dadurch kann ich heute für ein neues Handy, den Nothelferkurs oder für Veloreparaturen selbst aufkommen und dies macht mich, tbh, sehr stolz. Auch wichtig für mich war, erste Berufserfahrung zu sammeln, damit ich im späteren Leben eine Ahnung davon habe, wie es im Berufsleben läuft. Im Sekretariat lerne ich den professionellen Umgang mit Kunden – auch mit denen, die manchmal etwas schwieriger sind – und was es heisst, Schule und Beruf unter einen Hut zu bringen.

Den Aushang in der Postecke aktualisieren. Dabei immer wieder spontan Arbeitskolleginnen und Kollegen treffen und einen kurzen Smalltalk führen.
Auch das ist Teil des vielseitigen Jobs: Büromaterial bewirtschaften.
Ein Schwerpunkt des 1. Lehrjahrs: Kundenkontakt. Ob mit externen …
… oder internen Kunden.

Kauffrau trotz Vorurteilen

Mir hat schon immer das Lernen und Beherrschen der Sprachen Französisch und Englisch gefallen. Mein Wissen kann ich nun im Alltag anwenden. Aber auch der Kontakt mit Kunden per Telefon oder face to face3 hat mir imponiert und ist interessant. Im zweiten Lehrjahr werde ich im Personalwesen mitarbeiten und im dritten Lehrjahr in der Buchhaltung tätig sein. Auf das Arbeiten mit Zahlen freue ich mich schon jetzt. Die vielfältigen Tätigkeiten waren denn auch mit ein Grund für meine Berufswahl. Eine meiner liebsten Tätigkeiten ist der persönliche Kundenkontakt. Hier kann ich mein Fachwissen anwenden und laufend verbessern. Auch das Organisieren von kleinen und grossen Anlässen ist immer sehr spannend und abwechslungsreich. Durch meine Lehre erhalte ich Einblicke in viele Arbeitsbereiche und lerne die Berufswelt kennen.

Warum dieser Stress

Der Feierabend naht. Beim Frankieren der letzten Briefe wird mir erneut klar, warum ich mir den Stress antue und die Lehre mit der Berufsmaturität kombiniere. Ich ziehe in Erwägung später zu studieren oder eine Weiterbildung zu absolvieren. Ich fände es zum Beispiel spannend, Kriminalpsychologie zu studieren. Mit dem Berufsmaturitätszeugnis stehen mir nahezu alle Möglichkeiten offen. Momentan liegt mein Fokus weiterhin darauf, viel Erfahrung im Berufsleben zu sammeln, erfolgreich zu sein und einen guten Abschluss beim QV4 zu erreichen. 

Müde vom Arbeiten, aber zufrieden und gefüllt mit neuen Eindrücken aus meinen Berufsalltag radle ich abends nachhause. Und ich weiss: Die Ausbildung als Kauffrau EFZ ist amazing5!

1 tbh: «to be honest» oder auf Deutsch «um ehrlich zu sein»

2 «fiire»: etwas so toll finden, dass man am liebsten eine Party dafür schmeissen würde

3 face to face: «von Angesicht zu Angesicht»; Kommunikation zwischen anwesenden Menschen

4 QV: Der Begriff Qualifikationsverfahren (QV) ist mit dem neuen schweizerischen Berufsbildungsgesetz eingeführt worden. Insbesondere ist damit die bisherige Lehrabschlussprüfung gemeint, aber auch andere Qualifikationsverfahren die zu einem eidgenössisch anerkannten Abschluss führen. (Quelle: Wikipedia)

5 amazing: auf Deutsch bedeutet es unglaublich/grossartig; ich verwende dieses Wort oft, wenn ich etwas sehr toll finde, meistens zum Leidwesen meiner Freunde.


Liv Morgenthaler
Lernende Kauffrau